Technische Fortschritte machen einstige Science-Fiction Realität. Was kommt als nächstes? Folgt der nächste Durchbruch?
Dieser Artikel wurde ursprünglich von der DMVÖ Expert Group für Data Science & KI veröffentlicht. Die Datanauts sind Anfang 2022 aus dem DMVÖ entstanden und befassen sich intensiv mit den genannten Themen. Weitere Blogartikel der Datanauts findet ihr hier. Solltet ihr euch intensiver mit den Bereichen Data Science & KI auseinandersetzen wollen, könnt ihr hier Mitglied bei den Datanauts werden!
Wie Data Science Gedankenlesen zur Realität macht.
Das Gehirn als Ziel
Zu Verstehen wie unser Gehirn funktioniert ist der Traum einiger Neurowissenschaftler. Weltweit arbeiten unzählige Forschungsgruppen daran einzelne Facetten unseres Gehirns zu entschlüsseln. Die neuronalen Mechanismen hinter menschlichem Erleben und Verhalten aufzuklären, ist derzeit ein ungelöstes Rätsel. Sollten wir dieses Rätsel jedoch lösen, so könnte es – genau wie die Erfindung des Handys – unseren tagtäglichen Alltag für immer verändern.
Aber wie weit sind wir? Wie viel wissen wir von unserem Gehirn?
Anfang des 20. Jahrhunderts wurde erstmals experimentell gezeigt, dass unser Gehirn Informationen großflächig auf mehrere Milliarden Nervenzellen („Neuronen“) aufteilt. Inspiriert dadurch wurden die verschiedensten Sinnessysteme erforscht, wodurch beispielsweise die Verarbeitung des auditorischen und visuellen Systems großteils als verstanden gilt. Mehr Probleme zeigen sich beim Versuch das Gedächtnis oder das emotionale Erleben zu verstehen.
Die „Black Box“ Gehirn durchleuchten
Um Erkenntnisse darüber zu gewinnen, wie unser Gehirn Informationen verarbeitet, müssen präzise Experimente getätigt werden. Möchtest du also beispielsweise das visuelle System besser verstehen, könntest du die Gehirnaktivität einer Person messen, während du ihr ein bestimmtes Bild zeigst.
Das Resultat? Ganz viele Daten.
Hier kommt nun die Data Science ins Spiel, indem versucht wird, die Masse an Daten zu bereinigen und zu analysieren. Das ist eine Aufgabe, die es in sich hat, da in diesen Messungen ein unglaubliches Level an Noise existiert. Versuchspersonen sind während der Datensammlung beispielsweise gestresst, empfinden Liebeskummer und haben Hunger – allesamt Störvariablen die unsere Gehirnaktivität verändern.
Es ist also unglaublich schwer aus Gehirndaten valide Aussagen über menschliches Erleben tätigen zu können.
Unglaublich schwer, aber dennoch möglich.
„Emotionslesen“ – Die Vorstufe zu Gedankenlesen?
Bevor wir zu dem „Big Boss“ des Gedankenlesens und den damit verbundenen Challenges der Neurowissenschaft kommen, möchte ich noch auf ein paar bereits geschaffte Hürden zu sprechen kommen. Emotionslesen, also Emotionen aus der Gehirnaktivität von Versuchspersonen klassifizieren zu können, gilt als solch eine. Speziell Angst und Furcht waren hier Vorreiter, da sie beide in der Amygdala lokalisiert sind, einer wichtigen Region im Großhirn, die speziell bei Angstgefühlen starke neuronale Aktivität zeigt. Mittlerweile können aber auch wesentlich mehr Emotionen klassifiziert werden. Die Unterscheidung in positives und negatives Empfinden gilt hierbei als besonders „einfach“.
Gedankenlesen im Schlaf – Aktuelle Forschung der Traumvisualisierung
Vielleicht noch spannender als unsere Emotionen, sind unsere Träume. Träume faszinieren Menschen seit Jahrtausenden. Wir wachen auf und fragen uns was bestimmte Träume zu bedeuten haben. Manchmal erinnern wir uns aber auch gar nicht an unsere Träume. Wie genial wäre es, wenn wir uns nach dem Aufstehen, einfach einen Film unseres Traumes ansehen könnten? Hier kann in Zukunft vielleicht die Data Science aushelfen.
Aber wie?
Unser Schlaf teilt sich in mehrere Phasen, eine davon wird REM („rapid eye movement“) genannt. In einer Nacht durchgeht der Mensch mehrere REM-Phasen. Der REM-Schlaf ist für den Use Case „Traumvisualisierung“ relevant, da wir höchstwahrscheinlich in dieser Phase träumen. Das sogar nicht nur einmal, sondern mehrmals pro Nacht.
Die Gehirnaktivität während einer REM-Phase unterscheidet sich kaum von der im Wachzustand. Diese Information nutzen wir für die Traumvisualisierung, indem wir Modelle an Gehirnaktivität von wachen Versuchspersonen trainieren und diese dann auf träumende Personen anwenden können. Das Resultat ist ein Video, dass die Aktivität des visuellen Systems zu einem kontinuierlichen Bild rekonstruiert – Oder einfach gesagt: Wir können „sehen“, was die Person träumt. Ein Beispiel findet sich hier. Obwohl sie als lang empfunden werden, dauern Träume im Durchschnitt nur wenige Sekunden. Wie viel Information man also aus diesen wenigen Bildern des Traumes extrahieren kann bleibt zukünftiger Forschung überlassen.
Den „Internen Dialog“ mitlesen – Die Masterclass im Gedankenlesen
Wenn wir an Gedankenlesen aus Science-Fiction Filmen denken, so kommt uns nicht die Klassifikation positiver und negativer Emotion in den Kopf. Nein. Wenn wir uns wirklich den Begriff Gedankenleser*in zuschreiben wollen, so müssen wir in der Lage sein die innere Stimme unseres Gehirnes auszulesen. Höchstwahrscheinlich nicht verwunderlich zu hören, aber nein, die Technik ist noch nicht so weit. Wir können aktuell nicht Gedankenlesen.
Es gibt aber ein paar spannende Forschungsergebnisse. So war ein Team an der Caltech University in der Lage, einzelne Wörter aus unserer Gehirnaktivität auszulesen. Dafür gaben sie Versuchspersonen Wörter vor, welche sie mental wiederholen sollten. Sie trainierten dann verschiedene Klassifikationssysteme und erzielten eine Genauigkeit von 91%.
Ist das nicht schon Gedankenlesen?
Naja, Jein. Es musste die Aufmerksamkeit der Person auf das mentale Wiederholen gerichtet sein. Ein „passives Mitlesen“ der Gedanken war also nicht möglich. Weiters beschränkte sich das Gedankenlesen auf einige vordefinierte Worte. Schlüssige Sätze oder gar Gedankengänge sind davon noch weit entfernt.
Reine Forschung, oder nächstes Milliarden Euro Unternehmen?
Wenn es also möglich ist unsere Gehirnaktivität zu deuten, warum gibt es dann kein Unternehmen, das solch ein Produkt anbietet? Der Markt für einen „Emotionsmesser“ oder „Traumvisualisierer“ wäre doch auf alle Fälle vorhanden.
Das Problem liegt hier bei der Messung selbst. Gehirnaktivität ist nicht einfach zu erfassen und erfordert meist große und teure Geräte. Beispielsweise wird in der Forschung viel mit fMRI („functional magnetic resonance imaging“) Scannern gearbeitet. Diese erstellen ein starkes Magnetfeld um das Gehirn, wodurch sie lokalisieren können wo neuronale Aktivität stattfindet. Solche Maschinen kosten mehrere zehn tausende Euro und sind so groß, dass sie einen ganzen Raum füllen. Ähnlich wie bei Computern im Jahr 1980 ist der Nutzen nicht für die große Masse geeignet. Die Geräte sind zu groß, zu teuer, und zu schwer zu bedienen, um für den Normalgebrauch geeignet zu sein. In Zukunft könnte es aber genau wie bei der Transformation von Computern zu Handys eine massive Reduktion in Größe, Preis und Bedienungsschwierigkeit geben. Vielleicht sehen wir also in Zukunft Produkte, die die zuvor beschriebenen Algorithmen nutzen und monetarisieren. Jedoch lässt das noch mindestens ein Jahrzehnt auf sich warten.
Dieser Blogartikel wurde von Furtlehner verfasst.